Third Culture Kid:
Bin ich heimatlos oder überall zuhause?
Third Culture Kid:
Bin ich heimatlos oder überall zuhause?
A: Woher kommst du?
B: Aus Deutschland.
A: Ja, das hört man. Aber woher kommst du denn wirklich?
Es gibt nicht viel, was mich aus der Fassung bringt, aber die Frage „Woher kommst du wirklich?“ geht mir jedes Mal aufs Neue unter die Haut. Wie die meisten TCKs (Third Culture Kids), bekomme auch ich Panik, sobald man nach meiner Herkunft fragt. Wollt ihr wissen, was auf meinem Pass steht? In welchem Land ich geboren wurde? Wo ich aufgewachsen bin? Wo ich aber auch einige Zeit verbracht habe? Wo meine Eltern gearbeitet haben oder wo sie jetzt leben?
Meine dritte Kultur
Der Begriff TCK wurde von der amerikanischen Soziologin Ruth Hill Useem geprägt und bezieht sich auf Kinder, die einen bedeutenden Teil ihrer Entwicklung und Ausbildung außerhalb der Kultur ihrer Eltern verbracht haben. Menschen, die diesen Kriterien entsprechen, verschmelzen ihre Geburtskultur mit ihrer adoptierten Kultur und schaffen sich so ihre eigene neue Kultur: die dritte Kultur. In meinem Fall ist es eine Mischung aus der portugiesischen und deutschen Kultur, die nicht unterschiedlicher sein könnten und in vielen Dingen völlig gegensätzlich sind.
Freunde von mir behaupten ich würde mir meine Nationalität so auslegen, wie es mir gerade passt. Sprache: Mit Freunden definitiv deutsches Deutsch. Niemals Österreichisch. Fußball: Força Portugal! Pünktlichkeit: Mein alter Deutschlehrer hat immer gesagt „Pünktlichkeit bedeutet immer fünf Minuten vorher da zu sein.“ Da iberisches Blut durch meine Venen fließt, funktioniert das bei mir nicht. Essen: hmm Maultaschen, hmm Spätzle, hmmm Meeresfrüchte!
Meine kurze und meine lange Antwort
Es hängt ganz von der Person und der Situation ab, welche Antwort ich auf die Frage „Woher kommst du wirklich“ gebe. Ich habe eine lange und eine kurze Antwort parat. Manchmal schmücke ich sie mit mehreren Details aus, aber nur, wenn ich merke, dass meine Antwort, meinen Gegenüber tatsächlich interessiert. Dann sage ich meistens: „Meine Eltern sind Portugiesen, ich wurde in Portugal geboren und besitze auch den portugiesischen Pass. In dem Jahr, in dem ich zur Welt kam, begann mein Vater in Deutschland zu arbeiten. Angeblich hätte er da nur ein paar Jahre bleiben sollen, aber dann wurden es schließlich mehr als erwartet und als ich dann sechs war, zogen meine Mutter, meine Schwester und ich ebenfalls nach Deutschland. Mit noch 19 Jahren bin ich nach Wien gezogen.. Zum Studieren natürlich, wie alle Deutschen *Lachen*. Zwischendrin habe ich eine Zeit lang in Italien und Frankreich gelebt. Grundsätzlich lebe ich gerne in anderen Ländern. Nur nicht zu lange an einem Ort bleiben. Ob ich jemals nach Portugal zurück will? Eventuell ja, aber vorerst reicht mir der jährliche Urlaub. Und zurück nach Deutschland? Ja, auf jeden Fall, aber ganz sicher nicht nach Stuttgart.“
Wenn mein Gegenüber allerdings nur eine Bestätigung sucht, dass ich, mit meinem exotischen Namen und exotischen Aussehen niemals „Deutsche“ sein könnte, dann nenne ich schlicht und ergreifend mein Geburtsland und darauf bekomme ich dann meistens ein „Ahaaaaa, ja merkt man.“ Ich würde dann immer am liebsten „Halt deine Fresse!“ schreien. Nicht, weil ich mich für meine Wurzeln oder Herkunft schäme, ganz im Gegenteil, ich bin so eine stolze Portugiesin! Es liegt viel mehr daran, dass ich mich weder portugiesisch noch deutsch fühle. Ich fühle mich auch nicht italienisch oder französisch oder österreichisch.
Ich fühle mich irgendwie als alles und nichts. Und manchmal, da hätte ich gerne, dass mir jemand diese super kurze Antwort „aus Deutschland“ einfach mal abkauft.
Denn wenn ich auf die Frage „Woher kommst du?“ sofort mit „aus Portugal“ antworte, kommt wie aus der Pistole geschossen: „Aha schön, und wie lange lebst du schon in Österreich? Daraufhin sage ich dann: „Seit fünf Jahren.“ Sofort erkenne ich bei meinem Gegenüber einen Mimikwechsel. Aufgerissene Augen, Mund leicht zu einem „O“ geöffnet und dann wappne ich mich schon für die nächste Aussage: „Aber dein Deutsch ist so gut? So ganz ohne Akzent?!“ Wenn ich Lust habe, dann erlöse ich den Armen von seiner Schockstarre und erkläre, warum mein Deutsch so gut, akzent- und vor allem dialektfrei ist. Wenn nicht, lasse ich ihn einfach in dem Glauben, dass ich eine superschlaue Hyperpolyglotin bin. – Ehrlich gesagt fehlt mir noch eine Sprache, damit ich mich so bezeichnen kann. Zählt passiv Spanisch auch? Wenn ja, dann darf ich mich auf jeden Fall schon so nennen. Ich kann aktiv Portugiesisch, Deutsch, Englisch, Italienisch, Französisch und passiv Spanisch.
Die vielen Masken und mein Dilemma
So aufzuwachsen und auch so zu Leben fühlt sich so frei an. Ich fühle mich so, als würde ich jedes Mal unterschiedliche Masken aufsetzen und könnte mich dadurch neu erfinden. Bei meiner Familie, wo ich nur Portugiesisch spreche, bin ich eine Person. In der Schule/Uni/Arbeit, wo ich nur Deutsch spreche eine komplett andere.
Gleichzeitig stellt das auch ein Dilemma für mich dar.
Wer bin ich wirklich? Wo gehöre ich hin? Wo ist mein Zuhause?
Ich weiß es nicht. In Deutschland bin ich nicht die „echte“ Deutsche, in Portugal nennen mich meine Familienmitglieder „a alemã“ (= die Deutsche). Ich sehe nicht deutsch aus, aber spreche wie eine Deutsche. Gleichzeitig habe ich ein, für deutsche Verhältnisse, feuriges Temperament, für Portugiesen, bin ich aber zurückhaltend und schüchtern. Wenn meine Familienmitglieder streiten, dann reden sie Jahre nicht miteinander und nehmen den Groll mit ins Grab. Ich, als „a alemã“ versuche dann alle an einen Tisch zu bekommen, und sie zur Aussprache zu bewegen.
Identitätskrise
Ich liebe sowohl meine portugiesische als auch meine deutsche und auch all meine anderen kulturellen Seiten. Doch gleichzeitig fühle ich mich nirgends dazugehörig. Eher wie ein Außenseiter, der mit aller Kraft versucht mitzumischen.
Also, wo ist denn nun mein Zuhause? Identität ist immer auch an ein bestimmtes Zugehörigkeitsgefühl gebunden. In der Regel wird es durch familiäre Bindungen oder tiefe emotionale Verbindungen gestärkt – Im Grunde ist dein Zuhause dort, wo deine Familie und engsten Freunde und deine große Liebe ist. Da bei mir alle quer durch die gesamte Welt verstreut sind, ist es schwierig dieses „Zuhause-Gefühl“ aufzubauen. Ich fühle mich nämlich nirgends so richtig zuhause. So als wäre ich noch gar nicht richtig angekommen. Als schwebte ich in einem Limbo und würde darauf warten endlich landen zu können.
Ich will das alles nicht schlecht reden, denn ich bin so dankbar das Privileg gehabt zu haben, mit so vielen unterschiedlichen Kulturen aufwachsen, und auch neue Orte, neue Menschen und neue Lebensweisen kennenlernen zu dürfen.
Ich wünsche mir nur, dass ich irgendwann aus diesem Limbo rauskomme und mein zuhause finde.
Woher:
Mantel – Zara
Bluse – H&M
Hose – Edited the Label
Schuhe – River Island
Tasche – Zara
Uhr – Parfois
Sonnenbrille – Flohmarkt am Mauerpark in Berlin
14 Comments
Oh diese Identitätskrise hab ich auch sehr oft!
Ich selber kann immernoch nicht genau sagen, wo ich dazugehöre oder ob ich wirklich irgendwo dazugehören will. Manchmal komplett Türkin, manchmal komplett Deutsche und manchmal beides und manchmal will ich mich einfach mal zu keinem Land bekennen. 😀 Es kommt wirklich auf die Situation und die Leute an, wie du es schon geschrieben hast. 🙂
Oder genauso auch das Gefühl das man nie genau sagen kann, welches den nun die Heimat ist.
Trotz allem bin ich froh, dass ich zwei komplett verschiedene Kulturen sehen und leben kann 🙂 Toller Beitrag :*
Liebe Berna,
ich weiß ganz genau was du meinst! Manchmal will man sich für keines der beiden Länder entscheiden… ich habe auch in anderen Ländern gelebt, spreche auch deren Sprache und dann romantisiert man alles und fantasiert „Was wäre wenn?“ Doch im Grunde wollen wir wirklich nur irgendwo dazu gehören….
xxx
Márcia
Liebe Marcia,
ich kann nicht glauben diese Zeilen tatsächlich zu lesen – so schwarz auf weiß, da sie sonst nur in meinem Kopf waren. Ich hätte nie gedacht, dass jemand zu 100% so fühlt wie ich mich fühle. Ich kenne dich eigentlich nur flüchtig, aber heute kenne ich dich sehr gut.
Long story short: ich bin in Lissabon geboren, mit 13 nach Deutschland ausgewandert und seit 5 Jahren lebe ich in Wien.
Ich kann dich so gut verstehen. Es ist wirklich so als hätte dieser Text auch von mir sein können. Jedes einzelne Wort. Ich habe beim Lesen geweint. Ich wünsche mir so sehr ein „Zuhause“ – aber so wie bei dir – ich weiß nicht wo es ist.
Beijos, abraços e algumas lágrimas 😉
:*
Querida Natacha,
wir müssen uns ganz bald wiedersehen und unsere Erfahrungen austauschen. Ich bin mir sicher dass wir noch tolle Freundinnen werden <3
xxx
Márcia
ich kann total mit Dir mitfühlen da ich diese Situation selbst erlebt habe und noch immer mir die Frage stelle wo gehöre ich hin, wo ist meine Heimat usw. Wenn mir wer die Frage stellt woher kommst Du kommt meistens die Antwort „von überall und nirgendwo“. Wäre sicher nett sich mal mit Dir/Euch zu treffen und auszutauschen.
Liebe Nina,
ich bin immer so glücklich, wenn ich andere Menschen kennenlerne, die genauso fühlen, wie ich. Dann weiß man, dass man mit seinen Gedanken nicht ganz alleine ist
xxx
Márcia
Marcia ich fühle total mit Dir mit. WÄre sicher toll einmal auszutauschen wie es einem so geht.
xxx
Nina
Liebe Nina,
dankeschön für deinen lieben Kommentar. Wir können uns sehr gerne mal austauschen
xxx
Das würde ich sehr gerne :-)! Wie wollen wir das anstellen! Kannst mir gerne mal eine Nachricht auf meine emailadresse schicken.
LG
Nina
Toller Beitrag und auch dein Outfit ist wunderschön 🙂
Liebe Tatjana,
Danekschön für deinen lieben Kommentar 🙂
xxx
Márcia
Sehr schön geschrieben, ich kann dich soo verstehen! 🙂
Die Bilder sind übrigens total toll geworden, gefallen mir so gut ♥
Ganz liebe Grüße,
Julie, http://www.fulltimelifeloverblog.com/
Liebe Julie,
Danekschön. ich bin immer froh, zu wissen dass ich nicht die einzige bin, die sich so fühlt.
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Márcia
Hi Julie, habe das gleiche Problem. Lebe irgendwie zwischen Deutschland, UK, Schweden und habe Osteuropaeische Vorfahren. Seit einiger Zeit sage ich auf die Frage „wo kommst du her?“ Aus Europa. Ich bin Europaeerin. Das Trifft mein Gefuehl wo ich hingehoere am besten. Und es oeffnet andere Perspektiven zur Diskussion, weniger nervige Schubladen. 🙂 Und ich glaube, dass es mittlerweile viele von uns „echten Europaeern“ gibt, der breiten Oeffentlichkeit ist das nur noch nicht so bewusst. LG Judi