Von zerplatzten Träumen und der Liebe zum Schreiben
Von zerplatzten Träumen und der Liebe zum Schreiben
Einer meiner ersten Tagebucheinträge lautet folgendermaßen: „Hallo mein Name ist Márcia und ich bin 6 Jahre alt. Mama sagt ich hab bald Geburtsag. Heute war meine Einschuhlung. Mama hat mir einen weißen Pulli mit roten Punkten angezogen und meine Schultasche gepackt. Ich durfte sie aussuchen. Sie ist hell gelb mit Schmehterlingen.“
Als meine ältere Schwester anfing in der Schule ganze Aufsätze zu schreiben und sie zuhause vorzulesen, wollte ich das auch unbedingt können, also nervte ich meine Eltern jeden Tag mir Lesen und Schreiben beizubringen. Abends nach dem Essen blieb ich mit ihnen am Tisch sitzen, um das Alphabet zu lernen. Ich kann mich zwar nicht genau erinnern, wie das allererste Buch hieß, aus dem ich eigenständig las, aber es handelte von einem Mädchen Namens Mafalda, das einen Papagei hatte. Ich war fünf Jahre alt.
Kurz darauf las ich mir vor dem Schlafen gehen selbst aus Büchern vor. Wenig später schrieb ich Wörter und dann ganz Sätze auf Blätter. Zu meiner Einschulung bekam ich ein Tagebuch, das ich sofort zu füllen begann.
Von Liebe zu Furcht
Irgendwann wurde die Liebe zum Schreiben durch Angst und Furcht verdrängt. In der Mittel- und Oberstufe hatte ich Panik vor dem Deutschunterricht. Ich habe jedes Mal vor einer Deutschklausur geweint. Meine Angst vor dem Schreiben wuchs exponentiell zum Thema, Stil und der Länge des Aufsatzes. Ich hasste es so gebunden zu sein, keine kreativen Freiheiten zu haben und mechanisch einen Text in knapp zwei Stunden auf ein Blatt Papier kotzen zu müssen – das Ergebnis gefiel meinem Lehrer oder eben nicht. Alles sehr subjektiv.
Von der achten bis zur dreizehnten Klasse hatte ich denselben jungen und hypermotivierten Deutschlehrer. Einmal schmiss er mir mein Klausurenheft hin und sagte vor der gesamten Klasse: „Vielleicht solltest du erst mal richtig Deutsch lernen, bevor du noch eine Fremdsprache anfängst.“ Zuhause schlug ich mein Heft auf und las alle Kommentare, die er mir an die Seitenränder geschrieben hatte. Die Aufgabe war Claire Zachanassian aus Dürrenmatts „Der Besuch der alten Dame“ anhand einer Textstelle zu charakterisieren. Ich hatte geschrieben, dass man sie mit einem noch ungeschliffenen Diamanten vergleichen könne: Unattraktiv fürs Auge, aber man wüsste, welche Macht und Eleganz unter der abscheulichen Fassade stecke. Die Prothesen machten sie hässlich, dafür aber unsterblich. Ihre Lebensumstände hätten sie innerlich erhärten lassen und nun sei sie auch äußerlich hart wie Stein, doch irgendwo tief drinnen, lebt noch die kleine, unschuldige Kläri Wäscher. Mein 16-jähriges Ich war sehr stolz auf meine Kreativität, auf die Art, wie ich Dinge wahrnahm und sie verglich. Wie ich meine Umwelt in Worte fasste. Sein letzter Kommentar zu meinem Aufsatz war allerdings ein Schlag ins Gesicht: „Was ist denn das?? Woher hast du denn das?? Das hat überhaupt keinen Sinn!!“
Das war der Moment, an dem ich mich selbst aufgab, an dem ich aufhörte den Stift in die Hand zu nehmen und meine Gedanken festzuhalten. Ich fand mich damit ab, dass ich nicht fürs Schreiben geboren worden war. Es lag mir einfach nicht und damit musste ich klar kommen.
Heute, knapp zehn Jahre später, bin ich reflektiert genug, um zu wissen, dass Lehrer auch nur Menschen sind. Sie sind Menschen, die andere Menschen in der sensibelsten Zeit ihres Lebens beeinflussen, sowohl positiv als auch negativ. Lehrer können nicht alles wissen und benoten oft nach Sympathie und einer vorgefertigten Notenskala, in der Kreativität und persönliche Entfaltung keinen Freiraum haben. Erfüllt man nicht alle Punkte auf der Liste, hat man in den Augen der Bildung versagt. Wenn meinem Deutschlehrer mein persönlicher Schreibstil nicht gefällt, dann nehme ich mir das als 16-Jährige natürlich zu Herzen. Dann verliere ich den Glauben an mich selbst.
Dass ich je wieder Schreiben würde, hätte ich mir nie erträumen lassen. Zu tief saß diese Verletzlichkeit. Zu unsicher war ich meinen eigenen Fähigkeiten gegenüber.
Erst durch den Blog, auf dem ich ursprünglich nur Outfits und nicht persönliche Eindrücke meines Alltags oder meiner Weltanschauung teilen wollte, habe ich die Liebe zum Schreiben wiedergefunden. Als mich das erste Mal jemand auf einen Blogpost ansprach und mich für meine Art, Gedanken festzuhalten, lobte, ist mir klar geworden, dass meine Worte es schaffen können, das auszudrücken, was andere denken. Dass meine Gedankenergüsse tatsächlich von Menschen gelesen und sogar nachvollzogen werden.
Erst durch den Blog habe ich den Glauben an mich selbst wiedergefunden. Ich habe kurzerhand beschlossen im Master einen neuen Studiengang zu wählen. Nie im Leben hätte ich gedacht einmal Journalistin, Bloggerin oder vielleicht gar Autorin zu werden. Jetzt stehen diesen Träumen nichts im Weg. Kein Deutschlehrer und kein Bildungssystem, vielleicht nur meine eigene Verletzlichkeit.
Was ich eigentlich sagen will…
Was ich mit dieser Geschichte aussagen will ist, dass Hindernisse und Umwege zum Leben dazugehören. Was wäre das Leben ohne Lücken im Curriculum? Perfekt? Vermutlich. Utopisch? Definitiv und mit Abstand vollkommen langweilig. Diese kurzen Phasen, in denen wir uns finden, oder auch wiederfinden müssen, sind genau die Momente, die uns als Person ausmachen. Hätte ich das nie erlebt, dann hätte ich nichts aus meinen Erfahrungen lernen können.
Wichtig ist, sich nicht völlig zu verlieren. Natürlich waren die Worte meines Lehrers verletzend und saßen sehr lange tief, haben sich wie kleine Parasiten in mich hinein gefressen, sich in mir vermehrt und Eier gelegt, aus denen Unsicherheiten und Zweifel schlüpften, die mich innerlich erhärten ließen, wie Kläri Wäscher in „Der Besuch der alten Dame“.
Ich habe mich aber wiedergefunden und gefangen, und das solltet ihr auch! Ihr solltet nicht müde werden, euren Träumen hinterherzujagen, auch wenn es ein langer, steiniger und von Unsicherheiten geprägter Weg wird. Ihr solltet stolz sein, auf all das, was ihr bisher erreicht habt und euch selbst loben. Bestätigung müsst ihr zuallererst von euch selbst holen, bevor sie euch jemand anderer geben kann. Glaubt an euch selbst und wenn euch jemand nieder macht, dann lernt daraus, nehmt euch das zu Herzen und wandelt es konstruktiv und positiv um. Verbessert euch, wachst an den negativen Erfahrungen.
Es wird genügend Tage geben, an denen ihr eure eigenen Fähigkeiten in Frage stellen und voller Selbstzweifel alles in eine Ecke werfen wollt, aber erinnert euch daran, dass eure Stärken größer sind, als eure Schwächen.
Ich denke zurück an mein 6-jähriges Ich und obwohl ich meinen rotgepunkteten Pulli und meine „hell gelbe“ Schultasche mit „Schmehterlingen“ liebte, war das, was mich am glücklichsten machte, in mein Zimmer zu rennen und darüber in meinem neuen Tagebuch zu schreiben.
Hattet ihr auch schon einmal einen prägenden Moment in eurem Leben, nach dem ihr am liebsten alles hinschmeißen wolltet, weil euch der Mut genommen wurde? Ich würde mich sehr darüber freuen, wenn ihr mir eure Erlebnisse in Form eines Kommentars hiterlässt.
xxx
2 Comments
Ich bin mit dir vollkommen einverstanden – du hast das sehr gut beschrieben. 🙂
LG,
Nikola
Liebe Nikola, dankeschön für deinen lieben Kommentar 🙂 <3