Die Kunst des Abschaltens – eine Kritik an der heutigen Arbeitsmoral
Die Kunst des Abschaltens – eine Kritik an der heutigen Arbeitsmoral
Ich habe das Gefühl, dass in einer priviligierten Gesellschaft, von der ich ein Teil bin, Abschalten und einfach einmal Nichts-Tun der neue Luxus ist. Wieso wir das Erreichen dessen in der Hand haben, das Zepter aber immer wieder abgeben, bespreche ich hier. Eine Kritik an der heutigen Arbeitsmoral.
Heutzutage ist es cool, mit einer langen To-Do-Liste zu prahlen. Wer mehr zu tun hat, ist mehr wert – so habe ich das Gefühl. Und so notieren wir Tag ein Tag aus Dinge, die wir zu erledigen haben, ja alles wird zu Arbeit gemacht – sogar Termine die Spaß machen, werden mit einer Schicht von Anstrengung versehen, weil ich eine Checkbox zum Abhaken daneben setze. Plötzlich wird eine Familienfeier zu einer Aufgabe und ich fühle mich dauerhaft überfordert.
Ob ich das schlecht finde? Wenn ich darüber nachdenke, schon. Tue ich es nicht, erwische ich mich dabei, wie ich in den sozialen Netzwerken teile, wie beschäftigt ich heute nicht wieder war, und mich dabei gut finde. Als bräuchte ich neben dem kleinen Häkchen auf der Liste zusätzliche Bestätigung. Bestätigung von anderen, Außenstehenden. „Gut hast du das gemacht, Nina. Du bist so fleißig – deine Arbeitsmoral ist top.“ Da ziehen die Mundwinkel automatisch nach oben und das Serotonin schießt in das Gehirn.
Es ist sogar soweit gekommen, dass ich mich richtig unnütz fühle, wenn ich einen Tag lang auf der Couch lungere und nichts tue. Mir verleiht ein Tag des Faulenzens sofort einen Touch von Ich-habe-mein-Leben-nicht-unter-Kontrolle. Vielleicht liegt es daran, dass ich selbstständig bin. Mein Job steht und fällt mit der Eigeninitiative und -motivation – klar ist es da schwierig abzuschalten. Schließlich kann ich immer mehr leisten, immer mehr arbeiten und immer besser werden. Doch das alleine kann es nicht sein, denn dieses Verhalten des Nicht-still-Sitzen-Könnens und der ständigen Hummeln unterm Arsch, aber nicht aufgrund einer diagnostizierten ADHS, beobachte ich auch bei anderen. Anderen Nicht-Selbstständigen.
Der Vergleich – der Dieb des Glücks
„Comparison is the thief of joy.“ – diesen Satz pflegte schon Theodore Roosevelt zu sagen und ich glaube, dass ein großer Funken Wahrheit in ihm steckt. Denn der Vergleich führt einerseits zu Neid, wenn andere besser sind, oder zur Degradierung der Leistung anderer, ist man selbst besser. Er führt nur selten dazu, dass sich alle wohl und geschätzt fühlen. Und obwohl ich das weiß, vergleiche ich jeden Tag aufs Neue. Durch die Digitalisierung und die Technologisierung wird das sogar immer einfacher. Ich muss lediglich mein Smartphone in die Hand nehmen und ein beliebiges soziales Netzwerk öffnen, schon finde ich zig Gründe für Vergleiche und liefere diese aber auch. Wer hat die bessere Arbeitsmoral, wer hat mehr geschafft?
Aber nicht nur, dass ich beobachte, was andere machen und leisten, nein ich überwache meine eigenen Fortschritte beinahe täglich. Ich habe eine App für meine Ernährungsweise, eine für das Schlafen, eine für den Sport und so weiter. Alle zielen auf den Vergleich von gestern auf heute ab – mein persönliches Ziel ist es, besser zu werden.
In dieser Zeit, natürlich aber auch in meiner kleinen studentischen, im Medienbereich arbeitenden Blase, ist mehr immer mehr. Ich möchte hin und wieder aber auch ein großes Weniger haben. Nahezu dem Nichts. Einfach einmal nichts tun und sich dabei nicht hundeelend zu fühlen oder mit den Gedanken schon wieder bei der To-Do-Liste sein, auf die ich sogar erledigte Dinge nachträglich ergänze, um mich gut zu fühlen. Das fände ich schön! Für mich sind nicht Diamanten oder ein Haufen an Geld Luxusgüter, die ich ersehne und im Leben brauche – nein, es ist das Abschalten ohne Reue und schlechtem Gewissen. Abschalten ist mein Luxus.
Lass‘ uns vergleichen: was ist deiner?
4 Comments
So ein schöner Beitrag Liebes! <3
Liebe Grüße, Sandra / https://shineoffashion.com
Liebe Sandra,
vielen Dank für deinen netten Kommentar.
Ganz liebe Grüße
Nina
Hallo liebe Nina,
super schöne Beitrag. Ich denke auch, dass es mittlerweile „chic“ ist, wenn man einen ausgebuchten Kalender hat. Das liegt zum einen sicher daran, dass unser Zeitgeist zu extrem schnelllebig geworden ist. Aber auch daran, dass viele Menschen sich nur mehr durch Äußerlichkeiten definieren. Persönlichkeit scheint immer weiter in den Hintergrund zu rücken. Es geht um Selbstdarstellung und Optimierung. Aber zu welchem Preis…..?
Alles liebe
Micha
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http://www.michaslifestyle.at
Hallo lieber Micha,
vielen Dank für deinen Kommentar. Ich gebe dir zu 100% Recht – ich denke auch, dass vieles eher dem Schein, als dem Sein dient und dass Selbstdarstellung einen großen Stellenwert in unserer Gesellschaft einnimmt. Vielleicht schaffen wir es ja, diesen Automatismus zu durchbrechen.
Liebe Grüße
Nina